Fachkräftemangel nur mit Frauen überwindbar – Arbeitsmodelle müssen endlich passen

Deshalb ist es höchste Zeit, dass sich die Rahmenbedingungen und Arbeitszeitmodelle an den Wünschen und Möglichkeiten von Frauen orientieren – und nicht umgekehrt. Dazu gehören passende Aufstiegs- und Karrierewege ebenso wie eine bessere Kinderbetreuung.

Wie aktuelle Analysen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zeigen, wünschen sich Mütter ein höheres Arbeitszeitvolumen und mehr Flexibilität als viele Arbeitgeber ermöglichen. Demnach liegt der vorstellbare Erwerbungsumfang bei zweijährigen Kindern bei 18 Stunden und steigt bis zum 18. Lebensjahr des Kindes kontinuierlich auf über 35 Stunden an. Hier liegt ein Potential, das bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist und sowohl für die Frauen als auch für die Unternehmen von großem Vorteil wäre.

Frauen sind gut qualifizierte Fachkräfte. Die Entscheidung für Kinder darf für sie kein Nachteil auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Karriere bedeuten. Wir fordern daher Staat und Arbeitgeber auf, Bedingungen zu schaffen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer gleichermaßen ermöglichen."

Noch immer sind Frauen im Berufsleben mit zahlreichen Hindernissen und Benachteiligungen konfrontiert. So verdienten Frauen im Jahr 2022 durchschnittlich 18 Prozent weniger pro Stunde als Männer. Das ist ein erheblicher Lohnunterschied, der zwangsläufig zu einer ungerechten Aufteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit in den Familien führt. Weitere Hindernisse sind die prekäre Entlohnung von Mini- und Teilzeitjobs sowie unflexible Arbeitszeitmodelle, die insbesondere für alleinerziehende Frauen ein großes Armutsrisiko darstellen.

"Angesichts des dringenden Fachkräftebedarfs ist das ein Skandal", sagt Loheide: "Frauen müssen gleichberechtigt am Arbeitsmarkt teilhaben können. Jetzt muss gehandelt werden!"

Von echter Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen kann noch nicht die Rede sein.

Kirsten Schwenke, erster weiblicher Vorstand des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe – Diakonie RWL, erklärt im Interview zum heutigen Weltfrauentag, was sich dringend ändern muss.

Frau Schwenke, Sie haben zwei Töchter, die Mitte 20 sind. Was wünschen Sie denen zum heutigen Weltfrauentag?

Dass es diesen Tag in absehbarer Zeit nicht mehr geben muss. Denn wenn wir in diesem Tempo in Sachen Gleichberechtigung weitermachen, ist eine volle Gleichberechtigung erst erreicht, wenn die beiden bereits in Rente sind: Bis Männer und Frauen weltweit gleichberechtigt sind, könnte es nach einer Analyse der Weltbank noch mehr als 50 Jahre dauern.Das würde bedeuten, dass meine Töchter dieselben Hürden im Berufsleben meistern müssen wie viele Frauen jetzt und in den Jahrzenten zuvor. Mein Wunsch wäre, dass sie nicht aufgrund einer Frauenquote eingestellt werden oder in Führungspositionen kommen, sondern einfach weil sie etwas können.

Welche Rahmenbedingungen müssen verändert werden, damit die Care-Arbeit – zum Beispiel die Betreuung von Kindern oder Pflege von Angehörigen – als eine Aufgabe von Männern und Frauen gleichermaßen wahrgenommen wird?

Wir brauchen mehr Flexibilität, damit alle, die es möchten, in Vollzeit arbeiten können. In der heutigen Gesellschaft müssen Frauen finanziell eigenständig sein, nicht über ihre Männer abgesichert leben. Nach der Elternzeit steigen zwar mittlerweile viele Frauen wie selbstverständlich wieder in ihren Job ein. Allerdings arbeiten viele dann in Teilzeit und nehmen damit eine geringe Rente in Kauf. Insgesamt sind familienfreundliche Arbeitsbedingungen nötig: Arbeitgeber sollten bereit sein, neue Wege zu gehen, damit Frauen nicht mehr in der Zwickmühle stecken, sich zwischen Kindern und Karriere entscheiden zu müssen. Dazu braucht es auch bessere Rahmenbedingungen in der Kinderbetreuung mit flexiblen Ganztagsangeboten. Beim derzeitigen Fachkräftemangel können wir es uns nicht leisten, auf die wertvolle Arbeitskraft von Frauen zu verzichten.

Warum sollen sich eigentlich nur Frauen zwischen Kindern und Karriere entscheiden müssen?

Aktuelle Studien zeigen, dass Hausarbeit und Kinderbetreuung immer noch als „Frauenarbeit“ verstanden wird. In vielen Familien sind Frauen dafür zuständig, dass etwas auf den Tisch kommt, die Wäsche gewaschen ist und die Schulaufgaben erledigt sind oder Angehörige gepflegt werden: der „Gender Care Gap“. Der Zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung hat diese Ungleichheit in konkreten Zahlen festgehalten. Der durchschnittliche „Gender Care Gap“ liegt bei rund 52 Prozent. Das heißt: So viel mehr Zeit als Männer wenden Frauen täglich für unbezahlte Tätigkeiten auf. Bei Mittdreißigern war der „Gender Care Gap“ mit 110 Prozent sogar noch höher, denn in diesem Alter ist der Spagat zwischen Kindern und Karriere besonders groß: 5,18 Stunden investieren 34-jährige Mütter täglich für unbezahlte Arbeit. Bei gleichaltrigen Vätern sind es nur 2,31 Stunden. Während der Pandemie haben viele Frauen ihre Care-Arbeit noch weiter erhöht, das Pegel hängt also deutlich schief. Wir brauchen ein Umdenken in den Köpfen: Kinderbetreuung, Hausarbeit und die Pflege von Angehörigen sind Aufgaben von Frauen und Männern! Da Care-Arbeit aktuell zu 80 Prozent von Frauen geleistet wird, ist dieser „Care Gap“ die Hauptursache für den finanziellen „Pay Gap“. Das muss sich ändern!

Sie sprechen den „Pay Gap“ an. Die ungleiche Bezahlung ist und bleibt ein großes Thema.

Ja, nach wie vor verdienen Frauen bei gleicher Ausbildung und Qualifikation durchschnittlich 18 Prozent weniger als Männer. Der „Gender Pay Gap“ ist ein gesellschaftlicher Skandal. Dazu kommt, dass viele Berufe, die in der Pandemie als systemrelevant empfunden und öffentlich wertgeschätzt wurden, in Frauenhand bleiben und deutlich unterbezahlt sind. Immer wieder hört man die politische Forderung, diese Berufe finanziell aufzuwerten, um sie auch für Männer attraktiv zu machen. Ich finde das beschämend: Für Frauen ist es zumutbar, wenig zu verdienen, für Männer aber nicht? Soziale Berufe sollten so bezahlt werden, dass man damit eine Familie ernähren kann – egal ob Mann oder Frau.

Diese finanzielle Brisanz spitzt sich bei den Alleinerziehenden noch zu, und das sind zu knapp 90 Prozent Frauen: Eine Erhebung der Bertelsmann-Stiftung belegt, dass knapp 43 Prozent aller Ein-Eltern-Familien als einkommensarm gelten. Das Armutsrisiko für Frauen und ihre Kinder liegt damit fast fünfmal höher als bei Paar-Familien und verharrt auf hohem Niveau.

Warum sehen wir immer noch so wenige Frauen in Führungspositionen?

Es gibt mittlerweile zwar mehr Frauen in Führungspositionen – aber immer noch nicht genug: Laut statistischem Bundesamt sind in Deutschland gut 29 Prozent der Führungs­positionen von Frauen besetzt. Im Vergleich zu den anderen EU-Mitglied­staaten liegen wir damit nur im unteren Drittel. Für Unternehmen und Verbände sollten klar verankerte Zielvorgaben Standard sein, um mehr Frauen in Gremien und Führungspositionen zu bekommen. Der Diakonische Governance Kodex bekennt sich zum Ziel einer geschlechtergerechten Zusammensetzung von Gremien, Organen und Leitungsstellen. Bis zum Jahr 2026 soll ein Mindestanteil von jeweils 40 Prozent Frauen und Männern umgesetzt sein. Meines Erachtens müssen Führungspositionen auch in Teilzeit oder als geteilte Stelle möglich sein. Frauen brauchen keine unzähligen Förderprogramme, bis sie die Kompetenzen für bestimmte Positionen haben. Ihnen müssen nur die Möglichkeiten gegeben werden!

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